Geschichte des Hauses

Um 1830 erbaut, zunächst unter dem Namen "Kautzsches Wirtschaftslocal" geführt, wurde es am 1. Mai 1848 von der Familie Kaltwasser übernommen und entwickelte sich fortan zu einem Treffpunkt der in Gotha ansässigen handwerk- und gewerbetreibenden Meister und Gesellen. In der Folgezeit entstand auch in Gotha vor dem Hintergrund ökonomischer Veränderungen, verbunden mit wachsenden sozialen Ungerechtigkeiten, eine aktive Arbeiterbewegung. Am 5.November 1865 hielt August Bebel eine Rede in einer Arbeiterversammlung im "Kaltwasserschen Saal", dem späteren "Tivoli", wo sich vom 22. – 27. Mai 1875 der ADAV (Lassalleaner) und die SDAP (Eisenacher) zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (ab 1890 SPD) vereinigten und das Gothaer Programm verabschiedeten, zu dem Karl Marx sich in seinen "Randglossen" an Wilhelm Liebknecht kritisch äußerte. Anschließend durchlebte das Tivoli wechselvolle Zeiten und wurde u.a. als Lazarett, Kindergarten und seit 1953 als Gedenkstätte genutzt. Am 20. Januar 1990 fand im "Kaltwasserschen Saal" die Wiedergründung der SPD des Landkreises und der Stadt Gotha statt und wenige Tage später – am 27. Januar 1990 – wurde in Anwesenheit von Willy Brandt und Egon Bahr der SPD-Landesverband Thüringen neu gegründet. An diesem Tag hielt Willy Brandt auf einer Großkundgebung auf dem Hauptmarkt eine mitreißende Rede, in der er u.a. den historischen Satz sagte: "Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört." 

An 20. Mai 2000 fand anlässlich des 125. Jahrestages ein Festakt in der Gothaer Stadthalle statt, Bundeskanzler und Parteivorsitzender Gerhardt Schröder hielt die Festrede. Im Tivoli-Saal trug er sich in das Gästebuch des Vereins ein. Anschließend wurde Ihm die Tivoli-Jubiläumsarmbanduhr mit der Nummer 1 überreicht. Er besichtigte unsere kleine Ausstellung und traf dann noch mit litauischen Sozialdemokraten zusammen, die mit ihrem Vorsitzenden Vytenis Andriukaites an der Spitze auf Einladung der Thüringer SPD-Landtagsfraktion einige Tage in Thüringen weilten.

Um das Jahr 1830 ließ sich der Finanzrat Johann Wilhelm Andreas Lotze (1768-1846) in der damaligen Sundhäuser Vorstadt ein Gartenhaus errichten. Nach seinem Tod ersteigerte es der bisherige Ratskellerwirt Ernst Voigt und richtete darin eine Restauration ein, die 1857 von dem Schenkwirt Christoph Kaltwasser (1811-1862) übernommen wurde. Nach dessen frühem Tod wurde die Kaltwasser'sche Restauration in der Sundhäuser Allee 10 von seiner Witwe Ottilie geb. Scharfenberg (1819-1887) weiter geführt. Neuer Besitzer wurde 1872 der Restaurateur Friedrich Helder, der auf dem gegenüber liegenden Gartengrundstück ein Brauereigebäude erbauen ließ.

 

Vom 22. bis zum 25. Mai 1875 fand der Vereinigungskongress des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins („Lassalleaner") und der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei („Eisenacher") zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands im „Kaltwasser'schen Saal" statt. Offensichtlich hielt sich im Volksmund hartnäckig die alte Bezeichnung für den Saal. Der Brauereibesitzer Helder ließ weitere bauliche Veränderungen vornehmen. Im Garten des Hauptgebäudes ließ er 1878 einen Arkadengang anbauen.

Im Jahre 1885 wurden Selmar Rohr (1827-1901) und Eduard Heynemann (1856-1886) die neuen Besitzer des Gasthauses und der Brauerei. Von 1886 bis 1917 existierten die „Gothaer Malzfabrik und Tivoli-Brauerei" sowie die Restauration „Tivoli". Die Bezeichnung „Tivoli" ist von der gleichnamigen italienischen Stadt abgeleitet und war seinerzeit ein populärer Begriff für einen Vergnügungsort. Im Jahre 1919 übernahm der Fabrikbesitzer Kommerzienrat August Blödner (1852-1927) das gesamte Anwesen. Dieser ließ die nunmehr ungenutzte Brauerei abreißen und die Mälzerei zu einem noch heute existierenden dreistöckigen Wohnhaus umbauen.

 

Auch das eigentliche Tivoli wurde umgestaltet. So wurde die Stützmauer zur Cosmarstraße hin verändert, im Erdgeschoss eine Kleinkinderschule untergebracht und der Saal fortan als Sitzungssaal für Stadtverordnetenversammlungen genutzt. An dieser Nutzung änderte sich lange Zeit nichts. Aus dem Kinderhort des Frauenhilfsvereins wurde nach 1933 ein Kindertagesheim der NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) und schließlich nach 1945 die Kindertagesstätte „Tivoli". Noch 1949 war das Gebäude im Besitz von Frieda Maelzer und Marie Blödner, den Töchtern von August Blödner, nach dem bereits 1922 der am Tivoli gelegene Teil der Roststraße in August-Blödner-Straße umbenannt worden war.

 

Nachdem die SED 1950 anlässlich des 75. Jahrestages des Vereinigungskongresses eine Gedenktafel mit der Inschrift „Nur die ideologische und organisatorische Einheit der Partei der Arbeiterklasse führt zu Frieden, Demokratie und Sozialismus" anbringen ließ, wurde am 21. April 1956 die „Nationale Gedenkstätte Tivoli" eröffnet. Am 7. April 1971 wurde im Beisein von Elly Winter, der Tochter von Wilhelm Pieck, die Cosmarstraße in Straße der Pariser Kommune und die August-Blödner- und Roststraße in Am Tivoli umbenannt.

 

Mit der Wende schloss die systembelastete Tivoli-Gedenkstätte im Oktober 1990 ihre Pforten. Bereits am 27. Januar 1990 konnte sich im historischen Saal im Beisein des Präsidenten der Sozialistischen Internationale und Ehrenvorsitzenden der SPD, Bundeskanzler a.D. Willy Brandt (1913-1992), der SPD-Landesverband Thüringen nach 44-jähriger Zwangspause neu gründen.

Zwischen 1998 und 2004 ließ die Stadtverwaltung Gotha als Hauseigentümerin die inzwischen marode Bausubstanz sanieren. Der letzte Bauabschnitt umfasste den Ausbau des Erdgeschosses, die Fassade sowie die Gestaltung des Gartens. Anfang 2005 hat der Tivoli-Verein das Haus von der Stadt zur Nutzung überlassen bekommen. Das Gothaer Tivoli steht nun endlich uneingeschränkt für Besucher sowie als Tagungsort und internationale Begegnungsstätte zur Verfügung.

 

Seit April 2006 existiert eine Dauerausstellung zur Geschichte der deutschen Sozialdemokratie mit dem Schwerpunkt Gotha (Vereinigungskongress 1875, SAPD/SPD-Parteitage 1876, 1877 und 1896, USPD-Gründung 1917, SED-Zwangsvereinigung 1946 und SPD-Wiedergründung 1990). Außerdem werden wechselnde Sonderausstellungen gezeigt.